Interview


In jeder Epoche zu Hause

Dirigent Hans Meyer im Gespräch mit Jan-Geert Wolff zur Arbeit des Mainzer Madrigalchors (September 2012)

Der vokalpolyphonen Satztechnik des Madrigals aller Epochen hat sich der Mainzer Madrigalchor verschrieben und pflegt mit seinen rund 30 Mitgliedern ein ständig wachsendes Repertoire. Dirigent Hans Meyer berichtet von den Vorzügen dieser Chorarbeit:

Chorleiter Hans Meyer
Von Palestrina bis Max Reger: Hans Meyer und sein Madrigalchor pflegen ein breites Spektrum.

JGW: Wo positioniert sich der Mainzer Madrigalchor in der lokalen Chorlandschaft?

HM: Es ist nicht leicht als reines Vokal-Ensemble „Marktanteile” hinsichtlich Sängerschaft und Konzert-Publikum zu bekommen. Daher konzentrieren wir uns auf die Bedienung musikalischer Nischen, die im lokalen wie regionalen kulturellen Leben eher – und meistens zu Unrecht! – zu kurz kommen.

JGW: In welchen Epochen der Vokalmusik bewegen Sie sich hier?

HM: In den von uns musizierten Programmen kann man die gesamte Vielfalt der Chorliteratur entdecken: von der Palestrina-Messe bis zum Hindemith-Madrigal, von der italienischen Madrigalkomödie bis zur romantischen Motette, vom französischen Programmchanson bis zur spanischen Ensalada sowie von mittelalterlicher Mehrstimmigkeit bis zur orchesterbegleiteten Barockkantate. Und wenn es in das Programm passt, ist in den Zugaben auch mal ein Popsong oder Jazztitel dabei.

JGW: Welches Repertoire haben Sie sich denn hier in der Vergangenheit erarbeitet?

HM: Zwei Drittel der gesungenen Werke stammen aus dem weltlichen Bereich. Charakteristischer für unser Repertoire ist aber vor allem, dass wir eher selten auf den ausgetrampelten Pfaden des gängigen Kanons wandeln, sondern uns eher die kleineren und unbekannten Perlen herauspicken. In der Vergangenheit gelang uns das unter anderem mit dem Programm „La musica delle donne”, das ausschließlich Werke von vergessenen Komponistinnen verschiedener Jahrhunderte und Länder zur Aufführung brachte.

JGW: Was ist hier Ihr nächstes Projekt?

HM: Gerade haben wir mit dem Programm „Die Nacht ist kommen” begonnen; es enthält vier- bis sechsstimmige „Nacht”-Werke unter anderem von Wilbye, Lassus, Dowland, Brahms, Rheinberger, Reger und Distler. Dabei folgen wir mit der Musik durch die Nacht – bis am Morgen wieder der Hahn kräht.

JGW: Wie setzt sich das Ensemble eigentlich zusammen und wer darf sich zum Mitsingen eingeladen fühlen?

HM: Wir sind Grenzgänger zwischen kammerchorischem Ensemble und Laienchor. Im Prinzip sollte man im Madrigalchor aber Noten lesen und nach ein paar Übungsdurchgängen mit dem Notenbild auch etwas anfangen können, sonst ist man bei dem jährlich oder halbjährlich anfallenden Pensum an Neueinstudierungen überfordert. Da wir nicht mit Konkurrenz und Druck arbeiten und uns auch nicht als Konkurrenten anderer Chöre betrachten, herrscht im Madrigalchor seit Jahren eine entspannte, konstruktive und konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Derzeit proben wir noch im Haus St. Georg in Mainz-Bretzenheim, immer dienstags von 20 bis 22 Uhr. Momentan suchen wir noch nach einer neuen Bleibe, da das Haus Ende des Jahres abgerissen wird.

JGW: Gibt es etwas, das der Madrigalchor anders macht als andere Chöre?

HM: Unseren kollegialen Umgang, der nicht nur auf Leistungseffektivität, sondern auf einen Kompromiss zwischen musikalischer Qualität und persönlichem Wohlfühlen gerichtet ist, muss man durchaus erst einmal mögen, denn er entspricht nicht unbedingt dem, was zu uns kommende Sängerinnen und Sänger von anderswo gewohnt sind. Aber auch dadurch zählt der Mainzer Madrigalchor seit über 30 Jahren zum alternativen Urgestein der Mainzer Musikszene – und er erfüllt seitdem so ziemlich alle Merkmale eines „Geheimtipps” …